Ratlose Friedensbewegung

Nachfolgenden Artikel haben wir von dem Trierer Freidenker Rüdiger Rauls übernommen. Weitere interessante Artikel sind auf seiner Seite zu finden.

Die Welt ist in einem erbärmlichen Zustand. Kriege und internationale Spannungen nehmen zu. Die Angst vor einem dritten Weltkrieg wächst. Warum gelingt es der Friedensbewegung nicht, nennenswerten Widerstand zu entwickeln?

In der Nacht zum 14. April bombardierten die USA, GB und Frankreich Ziele in Syrien. Dem Protest vor dem Brandenburger Tor am folgenden Mittwoch (18.4.), zu dem hauptsächlich Parlamentarier der Linkspartei aufgerufen hatten, folgten nur etwa 1500 Menschen. Angesichts der Ängste in der Bevölkerung und der Bedrohlichkeit der Lage ist das wenig. Dabei sind die Bedingungen für Widerstand besser als in den 1980er Jahren, dem letzten Höhepunkt der Antikriegsbewegung. Die Konfrontation zwischen NATO und Warschauer Pakt hatte zu einer Zweiteilung der Welt geführt.

Veränderte Bedingungen für Anti-Kriegspolitik

Heute kann mit dem wirtschaftlichen Erstarken Chinas und der Öffnung Russlands zur Welt von einer solchen Zweiteilung nicht mehr gesprochen werden. Es sind verschiedene Kraftzentren entstanden, die je nach den jeweiligen nationalen Interessen zu Koalitionen führen können, die die Architektur der Kräfteverhältnisse in der Welt immer wieder verändern. Das Entstehen der Europäischen Union als eine sich allmählich verfestigende politische Einheit hat die bestimmende Rolle der USA in der WWG geschwächt. Wie der derzeitige Handelsstreit zwischen der EU und den USA oder die Streitigkeiten um die Spionagetätigkeit der amerikanischen Geheimdienste zeigen, herrscht zwischen den beiden nicht immer eitel Sonnenschein. Trotz aller Geschlossenheit besonders im Rahmen der NATO deuten die gegenseitige Rücksichtnahmen auch auf Einschränkungen der Interessen des jeweils anderen hin.

Die aggressive Politik der USA und der NATO hat die Annäherung zwischen Russland und China begünstigt. Die Türkei entfernt sich zunehmend von der NATO zugunsten einer Intensivierung ihrer Beziehungen zu Russland, was das Kräfteverhältnis zwischen diesen beiden Rivalen verschiebt. Das chinesische Konzept der Seidenstraße zehrt am wirtschaftlichen und damit auch politischen Einfluss des Westens in Asien und auch Afrika. Die sogenannte Westliche Wertegemeinschaft (WWG) ist schwächer geworden. Ihre Werte offenbaren sich zunehmend als mit Moral überzuckerte wirtschaftliche und politische Interessen.

Zudem hat der Rückhalt der westlichen Regierungen und ihrer Politik in der eigenen Bevölkerung nachgelassen. Ihre Propaganda verfängt nicht mehr, da sich die Menschen zunehmend über unabhängige Medien im Internet informieren können, das das Monopol der privaten und öffentlich-rechtlichen Informationsanbieter gebrochen hat. In nachlassender Teilhabe an der offiziellen Politik offenbart sich Politikverdrossenheit vieler Bürger.

Diese wachsende Distanz zwischen Bevölkerung und den herrschenden Kreisen drückt sich auch in einer nachlassenden Bereitschaft für Kriegseinsätze aus. Es ist besonders für die westlichen Regierungen immer schwerer, Auslandseinsätze mit eigenen Truppen durchzuführen. Sie sind auf andere Kräfte und Staaten als Truppensteller angewiesen, seit die allgemeine Wehrpflicht weitgehend durch Berufssoldatentum ersetzt worden ist. Insofern hat im Vergleich zum Vietnamkrieg, aber auch den Einsätzen der jüngeren Zeit in Afghanistan und im Irak die Fähigkeit, Kriege zu führen, erheblich nachgelassen.

Der wesentliche Unterschied aber ist, dass mit der Blockkonfrontation auch eine ideologische Konfrontation verbunden war, der Kampf zwischen Sozialismus und Kapitalismus, zwischen „Diktatur und Freiheit“. Die herrschende Klasse des Westen hat es durch ihr Monopol über die Informationsverbreitung verstanden, den eigentlichen Adressaten des Sozialismus, den „einfachen“ Menschen, der Arbeiterklasse, Angst vor dem Sozialismus einzujagen. Es ist ihr gelungen, die eigene Angst vor der Enteignung der Produktionsmittel zu einer Angst vor Enteignung des privaten Besitzes allgemein zu machen, was aber nicht Ziel des Sozialismus war. Die Menschen im Westen sahen deshalb nicht nur im Militärpotential des Warschauer Paktes eine Bedrohung sondern auch in den politischen Bestrebungen der Kommunisten, die ja die Führer dieses Bündnisses waren.

Trotzdem ist die Friedensbewegung schwach

Die heutige Friedensbewegung jedoch trägt all diesen Veränderungen bisher nicht Rechnung. Sie ist verhaftet im Denken und den Mustern der 1980er Jahre, erstarrt in wirkungslosen Ritualen und Folklore. Sie beschwört die Kriegsgefahr, appelliert an die Einsicht der Regierenden und argumentiert mit Moral und Völkerrecht, so auch Wagenknecht in ihrer Rede vor dem Brandenburger Tor. Aber weder Wagenknecht noch die Friedensbewegung insgesamt machen Vorschläge, die eigene Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und damit die Kraft der Bewegung stärken könnten.

Das Gefühl der Rat- und Hilflosigkeit wird zudem noch verstärkt, wenn einige Bundestagsabgeordnete in Verkennung der Wirklichkeit Putin und Trump in einen Topf werfen, das militärische Handeln Assads und Russlands mit dem der Nato und der USA in Syrien gleichsetzen. Vielleicht denken sie wirklich so, vielleicht glauben sie aber einfach nur, sich mit dieser Gleichmacherei unangreifbar zu machen oder neutral zu wirken. Die Gleichsetzung der syrisch-russischen Kriegsmotive und der westlich-amerikanischen ist heutzutage falsch. Sie entspricht nicht den Tatsachen und vor allem bietet sie keine Handlungsmöglichkeit.

Wie will man der Eskalation im eigenen Land entgegentreten, wenn Vertreter der Friedensbewegung behaupten, die Russen seien keinen Deut besser als die USA und die NATO, weil beide Bomben werfen. Das ist vielleicht gut gemeint, aber nur oberflächlich und dem Anschein nach richtig. Wie soll sich der Bürger, der keinen Krieg will, engagieren, wenn er den Eindruck haben muss, zwischen Pest und Cholera wählen zu müssen? Er hat doch dann das Gefühl, die Russen zu stärken, wenn er die eigene Regierung kritisiert, und warum sollte er das tun, wenn die einen genau so schlimm sind wie die anderen. Dann hält er sich doch lieber aus allem raus und erspart sich Ärger.

Im Gegensatz zu heute war die Gleichsetzung von Ost und West in den Hochzeiten der Friedensbewegung der 1980er Jahre fortschrittlich. Sie eröffnete Handlungsmöglichkeiten. Damit hatte sich in einer breiten Öffentlichkeit der Gedanke durchgesetzt, dass auch der Russe keinen Krieg will. Das war zu jener Zeit ein erheblicher Fortschritt in Erkenntnis und Bewusstsein. Dank dem Informationsmonopol der herrschenden Klasse war bis dahin der Russe im Weltbild der meisten West-Deutschen der Kriegstreiber, der nichts anderes im Sinn hatte, als „uns“ zu überfallen und zu unterwerfen. Jetzt auf einmal war der Russe Mensch wie jeder andere auch. Das gab der Forderung nach Abrüstung eine ganz andere Kraft. Denn wenn der Russe Mensch war wie du und ich, brauchte man vor ihm keine Angst zu haben und folglich auch kein riesiges Waffenarsenal, das „uns“ vor ihm schützt.

Nur, dieses Solidaritätsprinzip, wie das Bewusstsein des gemeinsamen Untergangs im Atomkrieg aus den 1980er Jahren hier bezeichnet werden soll, ist heute keine Grundlage mehr. Die Gesellschaft hat sich gewandelt. Die Solidarität ist weitgehend dem Rentabilitäts- und Kostendenken zum Opfer gefallen. Wenn auch manche Friedensbewegte und Idealisten immer noch an moralischen Werten und Rechtsgrundsätzen festhängen, der überwiegende Teil der Gesellschaft hat diese als illusorisch abgelegt. Sie merken oder erfahren auch, dass Recht und Moral im Alltag gegenüber dem Wirtschaftlichkeitsdenken immer wieder den Kürzeren ziehen.

Was muss anders werden?

Aber das ist auch eine Chance für die Friedensbewegung und diejenigen, die gegen die ständige Ausweitung der Feindseligkeiten angehen wollen. Denn Militär und Kriegseinsätze kosten Geld, das vorgeblich ansonsten allenthalben knapp ist, wenn es um die grundlegenden Bedürfnisse der Bevölkerung geht. Dennoch hat sich Deutschland vor wenigen Tagen mit einer Summe von etwa 1 MRD Euro in ein Format eingekauft, das der Schaffung einer Friedensordnung in Syrien dienen soll. In diesem Format aber sind mit den USA, GB, Frankreich, Saudi-Arabien und Jordanien nur Gegner der syrischer Regierung vertreten. Es steht zu bezweifeln, dass es sich dabei um eine Nachkriegsordnung handeln wird, die den Interessen der Mehrheit der syrischen Gesellschaft entspricht.

Statt also über die Verletzung des Völkerrechts zu lamentieren und die Ängste vor dem Dritten Weltkrieg zu befeuern, sollten die maßgeblichen Kräfte der Friedensbewegung in erster Linie der deutschen Bevölkerung immer wieder deutlich machen, welche finanziellen Opfer von ihr bei diesen Kriegsspielen abverlangt werden. Da wird eine Milliarde aus dem Ärmel geschüttelt, die die Leiden in Syrien nicht lindert und den Menschen in Deutschland fehlt. Wenn auch der Krieg noch nicht im eigenen Land stattfindet, so beeinträchtigen die Kosten der militärischen Engagements die Lebensverhältnisse in Deutschland ganz erheblich. Das sollte der Tenor der weiteren Argumentation im Kampf gegen den Rüstungswahnsinn sein.

Die Friedensbewegung sollte ständig die Kosten der Kriege in Afghanistan und all den anderen Ländern, an denen sich Deutschland beteiligt, aufzählen und diesen Summen die Bedürfnisse der Bevölkerung gegenüberstellen. Die moralische Empörung sollte ersetzt werde durch das kalte rechnerische Kalkül, durch die Aufstellung der Summen, die den Menschen in unserem Lande vorenthalten werden. Schlagt die Propagandisten der Schwarzen Null mit den eigenen Waffen. Rechnet der Bevölkerung vor, was die Kriege kosten. Lasst sie davon träumen, was mit dem Geld möglich wäre. Rechnen, nicht jammern und wehklagen!

Bombardieren wir die Menschen in unserem Lande mit Zahlen statt die Menschen in anderen Ländern mit Granaten. Rechnen wir ihnen vor, was die Anhebung des Verteidigungshaushaltes auf 2% bedeutet. Rechnen wir Ihnen vor, wie viele Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Schwimmbäder davon gebaut oder erhalten werden könnten, wie viele Straßen repariert, wie viele Lehrer eingestellt werden könnten, wie viele Pflegekräfte, wie viele Ärzte und Krankenschwestern zur Verbesserung der ärztlichen Versorgung. Um wie viel könnten die Ärmsten der Armen, die Empfänger von Hartz IV und die Arbeitslosen entlastet werden? Um wie viel könnte das Leben lebenswerter werden? Verbinden wir den Kampf gegen den Krieg mit der sozialen Frage!

Wagenknecht hat vor dem Brandenburger Tor gefordert, dass sich noch „viel, viel mehr“ für Frieden einsetzen müssen. Aber, werte Sahra Wagenknecht, die Menschen sind doch da! Es waren doch immerhin über Tausend, die gekommen sind, um Vorschläge zu hören. Nur stellt sich die Frage: „Was schlägst Du ihnen vor?“ 1500 Menschen können viel erreichen, wenn man ihnen Vorschläge machen kann, die sie als sinnvoll, umsetzbar und erfolgversprechend ansehen.

Also lasst uns darüber nachdenken, wie wir die mobilisieren können, die nicht damit einverstanden sind, dass der Reichtum, den die Menschen hierzulande erarbeiten, genutzt wird, um den Menschen in anderen Länder zu schaden. Lasst uns darüber diskutieren, wie wir diejenigen erreichen können, die nicht damit einverstanden sind, dass sie sich an Tafeln anstellen sollen, um von den Resten zu leben, während das Geld anstatt für Lebensmittel für Tod und Zerstörung in Syrien und Afghanistan investiert wird.