Vortrag zum Rapallo Vertrag – am 21. Mai in Frankfurt

Samstag, 21. Mai 2022
um 14:00 Uhr
im Saalbau Bornheim,
Arnsburger Straße 24
Frankfurt am Main

Vortrag zum deutsch-sowjetrussischen Vertrag von Rapallo vom 16. April 1922

1 Die Fakten

Während der Weltwirtschaftskonferenz von Genua (10. April bis 19. Mai 1922) schlossen und

veröffentlichten Deutschland und Sowjetrussland am 16. April 1922 in Rapallo (der Ort liegt

südöstlich von Genua;) einen Vertrag, der die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen

bestimmte und alle gegenseitigen Ansprüche aus der Zeit des Ersten Weltkrieges als erledigt

bestimmte. Außerdem sollte in den deutsch–sowjetrussischen Wirtschaftsbeziehungen der

Grundsatz der Meistbegünstigung gelten.

2 Das kapitalistische Weltsystem 1914 und 1922

Vor dem Ersten Weltkrieg gab es auf der Welt 8 kapitalistische Großmächte, nach ihrer Bedeutung:

Vereinigtes Königreich (mit dem Empire), USA (mit Kolonien), Deutschland (mit Kolonien),

Frankreich (mit Kolonien), der Vielvölkerstaat Russland (mit einem inneren Kolonialsystem in den

asiatischen Gebieten), der Vielvölkerstaat Österreich–Ungarn, Italien (mit Kolonien), Japan (mit

Kolonien). Am 07. November 1917 schied Russland aus dem kapitalistischen Weltsystem und am

15. Dezember 1917 aus dem Ersten Weltkrieg aus. Im Oktober 1918 zerfiel Österreich–Ungarn.

Nach dem Ersten Weltkrieg gab es auf der Welt 6 kapitalistische Großmächte, nach ihrer Bedeutung:

USA (mit Kolonien), Vereinigtes Königreich (mit dem Empire), Deutschland (ohne Kolonien), Japan

(mit Kolonien), Frankreich (mit Kolonien), Italien (mit Kolonien). Die USA und Japan waren die

eigentlichen Gewinner des Ersten Weltkrieges.

3 Die 3 kapitalistischen Staatengruppen in Europa nach dem Ersten Weltkrieg

10 Siegermächte“: Vereinigtes Königreich, Frankreich, Italien, Polen, Rumänien, Tschechoslowakei,

Jugoslawien, Belgien, Portugal, Griechenland;

5 besiegte Staaten: Deutschland, Türkei, Ungarn, Österreich, Bulgarien;

13 sonstige Staaten: Spanien, Niederlande, Schweiz, Schweden, Dänemark, Norwegen, Finnland,

Irland, Litauen, Lettland, Estland, Albanien, Luxemburg;

Die Tschechoslowakei und Jugoslawien waren neue Staaten. Polen, Finnland, Irland, Litauen,

Lettland und Estland waren unabhängig geworden.

4 Die Bildung der Sowjetunion 1922

Nach der sozialistischen Oktoberrevolution waren 4 Sowjetrepubliken gebildet worden, die

russische, die ukrainische, die weißrussische und die transkaukasische. Am 30. Dezember 1922

wurden diese 4 Sowjetrepubliken zur Sowjetunion vereinigt. Sowjetrussland (und später die

Sowjetunion) war die einzige nichtkapitalistische Großmacht auf der Welt.

 

5 Die imperialistischen Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg war ein beiderseits imperialistischer Krieg zwischen 2 kapitalistischen

Machtblöcken, den Mittelmächten und den Alliierten. Am 08. November 1917 hatte die russische

Revolutionsregierung beide Seiten zu einem sofortigen Waffenstillstand und zur Einberufung einer

Friedenskonferenz aufgerufen. Die Mittelmächte hatten zugestimmt, das Vereinigte Königreich und

Frankreich hatten abgelehnt. Im Herbst 1918 kapitulierten nacheinander Bulgarien, die Türkei,

Österreich–Ungarn und, als letzter, Deutschland am 11. November 1918. Die Alliierten handelten

(auf der Pariser Friedenskonferenz 1919–1920) 5 Friedensverträge für die besiegten Mittelmächte

aus. Sie wiesen den Mittelmächten die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg zu und verlangten von

ihnen Reparationen, die sie in die Schuldenfalle treiben sollten. Sowjetrussland protestierte

vergeblich gegen die 5 imperialistischen Friedensverträge.

6 Sowjetrussland, Deutschland und die Türkei nach dem Ersten Weltkrieg

Auf der Pariser Friedenskonferenz war der Völkerbund mit Sitz in Genf gegründet worden. Ungarn,

Österreich und Bulgarien wurden 1920 aufgenommen. Sowjetrussland, Deutschland und der Türkei

wurde die Aufnahme verweigert. Die Türkei ratifizierte den imperialistischen Friedensvertrag nicht.

7 Die Weltwirtschaftskonferenz in Genua 1922

Teilnehmer waren 27 der 28 erwähnten kapitalistischen Staaten Europas (die Türkei fehlte;), 5

Staaten des britischen Empire (Indien, Kanada, Australien, Neuseeland, Südafrika), Japan und

Sowjetrussland. Das Hauptthema waren die Reparationen der besiegten Mittelmächte.

Sowjetrussland verlangte, das Thema Abrüstung in das Konferenz–Programm einzubeziehen.

Frankreich wies den sowjetrussischen Antrag schroff zurück. Auf der Pariser Friedenskonferenz

hatte Frankreich versucht, die russischen Vorkriegsschulden in Frankreich auf Deutschland

abzuwälzen. Hierzu hatte Frankreich durch Artikel 116 des Versailler Friedensvertrages

durchgesetzt, dass auch Russland Reparationsansprüche an Deutschland hätte. Es sollte eine

neue deutsch–russische Konfrontation geschaffen werden. Stattdessen führte der Vertrag von

Rapallo Deutschland und Sowjetrussland zusammen. Frankreich drohte sofort mit einem

Einmarsch in Deutschland und der zwangsweisen Eintreibung der Reparationen. Das

Vereinigte Königreich verlangte vergeblich die sofortige Annullierung des Vertrages von Rapallo.

8 Der nicht–imperialistische Lausanner Friedensvertrag vom 24. Juli 1923

Während des griechisch–türkischen Krieges 1919–22 stand das Vereinigte Königreich auf der

griechischen Seite. Italien und Sowjetrussland standen auf der türkischen Seite. Das Vereinigte

Königreich, Italien, Frankreich, Japan, Rumänien, Jugoslawien und Griechenland beendeten

formell den Kriegszustand mit der Türkei.

9 Die französisch–belgische Aggression gegen Deutschland 1923

Nach der deutschen Kapitulation am 11. November 1918 waren das linksrheinische Deutschland und

einige Gebiete auf dem rechten Rheinufer von französischen, britischen, belgischen und US–

amerikanischen Truppen besetzt worden.

Das Vereinigte Königreich und die USA verfolgten das Ziel einer antisowjetrussischen Einigung

Europas unter Einbeziehung Deutschlands unter britisch–US–amerikanischer Hegemonie.

Frankreich erstrebte die politisch–ökonomische Vorherrschaft in Europa und verfolgte das Ziel

einer Unterwerfung Deutschlands. Am 11. Januar 1923 machte Frankreich seine auf der Konferenz

von Genua ausgesprochene Drohung war, französische und belgische Truppen besetzten das

rechtsrheinisch–westfälische Industriegebiet und trennten es durch eine Zollgrenze vom übrigen

Deutschland ab. Frankreich sicherte sich 72 % der Steinkohlenförderung, 54 % der Roheisen— und

53 % der Rohstahlproduktion Deutschlands. Außerdem forderte Frankreich 5 seiner Verbündeten

(Polen, die Tschechoslowakei, Litauen, Lettland und Estland) auf, ebenfalls gegen Deutschland

vorzugehen. Polen mobilisierte seine Reservisten und traf Vorbereitungen für einen Angriff auf

Deutschland. Litauen war bereits am 10. Januar 1923 in das französisch verwaltete Memelgebiet

einmarschiert. Frankreich übergab das Memelgebiet an Litauen.

Am 13. Januar 1923 protestierte die Sowjetunion gegen die französisch–belgische Aggression und

forderte Polen, die Tschechoslowakei, Litauen, Lettland und Estland in ultimativer Form auf,

Neutralität zu wahren. Die Sowjetunion betonte mit Nachdruck, dass sie keine militärischen

Aktionen dieser 5 Staaten, insbesondere Polens, gegen Deutschland dulden werde.

Die USA verurteilten die französisch–belgische Aggression und zogen am 24. Januar 1923 ihre

Besatzungstruppen aus Deutschland ab. Das Vereinigte Königreich distanzierte sich von der

französisch–belgischen Aggression. Frankreich und Belgien wurden verpflichtet, die seit Januar

1923 besetzten Gebiete Deutschlands bis zum 31. Juli 1925 zu räumen.

10 Schlussbemerkungen zum Vertrag von Rapallo

Er war der erste auf dem Prinzip der friedlichen Koexistenz beruhende Vertrag zwischen einem

kapitalistischen und einem nicht–kapitalistischen Staat. Außerdem waren Deutschland und die

Sowjetunion Großmächte. Er war bis zur Machtübertragung an die Nazipartei am 30. Januar 1933

die Grundlage der deutsch–sowjetischen Beziehungen. Deutschland konnte seine außenpolitische

Isolierung durchbrechen und wurde 1926 in den Völkerbund aufgenommen. Joseph Wirth (DZP,

Reichskanzler 1921–1922), bezeichnete den Vertrag von Rapallo am 29. Mai 1922 im Reichstag als

ehrliches, aufrichtiges Friedenswerk“. Dagegen hatte Friedrich Ebert (SPD, Reichspräsident 1919–

1922) bis zum Schluss versucht, den Vertrag zu verhindern.